Worum geht es bei dem Streit zwischen Trump und Twitter?
Der Streit zwischen Trump und Twitter ist ein Thema, über das derzeit in den Medien viel geschrieben wird. Aber worum geht es dabei eigentlich genau?
Trump will den sozialen Netzwerken das Recht nehmen, nach eigenem Ermessen (oder unter Berufung auf angeblich neutrale Faktenchecker) Beiträge zu löschen oder in ihrer Reichweite zu begrenzen. Es geht um die Moderation von Beiträgen und Posts in sozialen Netzwerken.
Was ich – und auch viele meiner Leser – erst einmal gut finden, weil die willkürliche Moderation die Meinungsfreiheit einschränkt, finden die Mainstream-Medien und die Gegner von Trump ganz schlimm, weil damit der sogenannten Hassrede Tür und Tor geöffnet werde. Auch der Anti-Spiegel wurde für die angebliche Verbreitung von Falschmeldungen bereits von Facebook mit einer Beschränkung der Reichweite abgestraft.
Wer sich mit der Materie beschäftigt, stellt aber fest, dass gar nicht so einfach ist und dass beide Seiten in dem Streit einige der möglichen Folgen übersehen.
Die russische Nachrichtenagentur TASS hat zu dem Thema eine Analyse geschrieben, die sowohl die Hintergründe des Streits, als auch die gesetzlichen Grundlagen, um die es geht und die möglichen Folgen behandelt. Da die TASS dabei ausführlich auf die Argumente beider Seiten eingeht, habe ich den Artikel der TASS übersetzt.
Anmerkung: Die in dem Text gesetzten Links sind genauso auch im Original des Artikels platziert. Ich habe darauf verzichtet, alle russisch-sprachigen Links zu setzen, in denen die TASS auf eigene Artikel verweist, aber ich habe alle Links, die auf amerikanische Originalquellen verweisen, im Text belassen.
Beginn der Übersetzung:
Trump zufolge unterdrücken soziale Medien die Meinungsfreiheit. Wir zeigen, was ihnen deswegen droht
Der US-Präsident hat sich mit Twitter zerstritten und beschlossen, dem sozialen Netzwerken das Recht zu nehmen, Inhalte ungestraft zu löschen.
Für US-Präsident Donald Trump bleibt Twitter das wichtigste Kommunikationsinstrument. Dank ihm kommuniziert er direkt mit den Bürgern und kommt ohne die Vermittlung von Journalisten aus. Der Präsident schreibt in seinem Mikroblog viel und oft, manchmal nur in Großbuchstaben und fast immer mit Ausrufezeichen. Aus diesem Grund scheint es, dass Trump nicht nur seine Gedanken äußert, sondern lautstark von einer Bühne spricht. Aus den Tweets des amerikanischen Staatschefs kann man viel erfahren, vor allem kann man erfahren, wen er feuern wird, gegen welches Land er zuschlagen will und was ihn am meisten ärgert. Zusätzlich zu seinen eigenen Botschaften retweetet Trump oft auch Artikel oder Videos von seinen Lieblingsjournalisten oder einfach von Leuten, deren Aussagen er mag.
Trump und Twitter
Trumps Gewohnheit, über alles zu twittern, ärgert viele seiner Gegner. Einige forderten sogar, dem Präsidenten diese Möglichkeit wegen zu radikaler oder einfach unangemessener Äußerungen zu entziehen. Der US-Führer selbst hat oft unter seinen eigenen Posts leiden müssen. Man nehme alleine die Geschichte mit einem Tweet über covfefe, die Social-Media-Nutzer sofort in ein Mem verwandelt haben. Im Mai 2017 schrieb der Präsident in einem Tweet über die „negative Covfefe der Presse … “ (höchstwahrscheinlich meinte er die Berichterstattung, englisch „coverage“).
Der Tippfehler erregte die Aufmerksamkeit von Journalisten und Gegnern des Chefs des Weißen Hauses. Die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton stellte fest, dass covfefe nichts anderes als eine verschlüsselte „Botschaft an die Russen“ sei. Das Wort kam in Gebrauch. Zum Beispiel bestellten sich Autofahrer in mehr als 20 Staaten Nummernschilder mit dem Wort. Es wurde auch berichtet, dass im Irish Pub Duffy in Washington ein Cocktail namens ein Covfefe serviert wird. Am Ende wurde ein Pferd, das sogar den Breeders Cup in Kalifornien gewann, covfefe genannt, was wiederum den Präsident selbst erfreute.
Doch nicht alle Tweets von Trump bringen die Öffentlichkeit zum Lachen. Twitter selbst glaubt beispielsweise, dass der Staatschef bewusst falsche Informationen veröffentlicht. Kürzlich brach aus diesem Grund ein großer Skandal aus, der zu einer offenen Konfrontation zwischen dem sozialen Netzwerk und dem Präsidenten führte.
Ende Mai mokierte sich Twitter über zwei Trump-Tweets, die besagten, dass die Briefwahl zu Betrug führen könnte. Administratoren des sozialen Netzwerks waren der Ansicht, dass solche Beiträge die Wähler desinformieren könnten und teilten mit, dass Studien verschiedener Medien das Gegenteil sagen. Als Reaktion darauf warf Trump dem Netzwerk vor, sich in die Präsidentschaftswahlen einzumischen.
„Twitter unterdrückt die Meinungsfreiheit vollständig und ich als Präsident werde das nicht zulassen“, schrieb der amerikanische Staatschef auf seiner Seite. Darüber hinaus stellte er fest, dass das soziale Netzwerk nie Tweets anderer Politiker als falsch markiert hat.
Im Ergebnis erließ der Präsident eine Exekutivanordnung, um die Aktivitäten der sozialen Netzwerke in den Vereinigten Staaten zu regulieren, was die Regeln des Internets vollständig verändern könnte.
„Die Republikaner haben das Gefühl, dass die sozialen Medien die Stimmen der Konservativen zum Schweigen bringen. Wir können das nicht zulassen, wir werden ihre Aktivitäten streng regulieren oder sie schließen“, sagte der amerikanische Staatschef.
Was schlägt der Präsident vor?
Der Präsident strebt eine Änderung von Section 230 des Communications Decency Act von 1996 an, der auch als wichtigstes Dokument zum Schutz der Rechte im Internet bezeichnet wird. Es wird angenommen, dass dieses Gesetz es erst ermöglicht hat, das globale Internet in seiner jetzigen Form zu entwickeln. In Abschnitt 230 wird davon ausgegangen, dass soziale Netzwerke und Internetplattformen nicht für die Inhalte verantwortlich sind, die Nutzer darauf posten. Das heißt, wenn auf Twitter, YouTube oder Facebook eine Verletzung von Rechten geschieht, ist der User dafür verantwortlich, nicht die Internet-Plattform. Bei Zeitungen zum Beispiel ist das anders: Wenn ein Autor illegales Material in eine Zeitung veröffentlicht hat, ist die Zeitung verantwortlich. Das Gesetz ist für soziale Netzwerke besonders wichtig, aber es gilt auch für viele Websites und Dienste, einschließlich Nachrichtenportale mit Kommentarfunktionen.
Soziale Netzwerke sind damit von der Rolle eines Herausgebers befreit und sind daher nicht verantwortlich für die Inhalte auf ihren Seiten. Ausnahmen gelten bei Urheberrechtsverletzungen, Materialien im Zusammenhang mit Sexdienstleistungen und Verstößen gegen das Bundesstrafrecht. Beispielsweise verbieten die Twitter- und Facebook-Regeln Hassreden und erlauben es ihren Moderatoren, solche Botschaften zu löschen, obwohl sie durch die Meinungsfreiheit des Ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung gedeckt sind. Nach Abschnitt 230 hat der User kein Recht, die Entscheidung vor Gericht anzufechten, wenn soziale Netzwerke anstößige Inhalte entfernen. Wichtig ist, dass von „gutgläubiger Moderation“ gesprochen wird, wenn soziale Netzwerke anstößiges Material entfernen.
Trump schlägt nun vor, soziale Netzwerke dazu zu verpflichten, für die Moderation und Bearbeitung von Inhalten Verantwortung zu übernehmen (das Hinzufügen der Bezeichnung „Fake News“ zu seinem Tweets gilt auch als Moderation). Laut dem amerikanischen Staatschef wird das die Meinungsfreiheit sichern und die Nutzer vor „linker Zensur“ schützen, die, wie er meint, in allen großen Internetunternehmen des Landes von Facebook bis Google vorherrscht. Das heißt, wenn der „gute Glaube“ der Moderation verletzt wird, dann sollten Internetplattformen ihre rechtliche Immunität verlieren.
Die Essenz des Dekrets
In seiner Exekutivanordnung wies Trump die Federal Communications Commission und die Federal Trade Commission an, Gesetze zu entwickeln, die darauf abzielen, „betrügerische oder skrupellose“ Aktionen von Online-Plattformen zu verhindern und Bedingungen zu schaffen, um sie zur Verantwortung ziehen zu können. Um die Ziele des Präsidialdekrets zu erreichen, muss der Justizminister Vorschläge zur Änderung des Bundesrechts entwickeln.
Wenn es dem Präsidenten gelingt, seinen Änderungsantrag im Kongress durchzusetzen, werden Internetunternehmen gezwungen sein, ihre Moderationspolitik vollständig zu überarbeiten, da sie von einer Flut von Klagen überhäuft werden könnten. Experten vermuten, dass in diesem Fall soziale Netzwerke aufhören werden, Inhalte überhaupt zu säubern und dass viele Internetseiten dann Gefahr laufen, zu Brutstätten von Grausamkeit und Extremismus zu werden. Andere meinen, im Gegenteil, dass Websites ihre Regeln verschärfen werden und es für die Nutzer schwieriger werden wird, ihre Meinung offen zu äußern.
„Es ist ziemlich einfach: Wenn Twitter und Google und der Rest editieren und zensieren und sich wie traditionelle Verlage verhalten, sollten sie wie traditionelle Verlage behandelt werden und die besonderen Rechte in Abschnitt 230 müssten abgeschafft werden“, sagte der Republikaner Josh Hawley aus Missouri, der 2019 bereits einen Gesetzentwurf zur Aufhebung der Immunität bei Moderation durch soziale Medien eingebracht hat.
Interessant ist, dass nicht nur die Republikaner, die die übertriebene Moderation abschaffen wollen, eine Revision von Abschnitt 230 fordern, sondern auch Demokraten, die im Gegenteil meinen, dass soziale Netzwerke anstößiges Material nicht sorgfältig genug entfernen. Joe Biden selbst (potenzieller demokratischer Präsidentschaftskandidat) forderte die Abschaffung von Abschnitt 230 für die Verbreitung falscher Informationen in sozialen Netzwerken.
„Technische Unternehmen und Online-Plattformen sollten nicht vor Haftung geschützt werden, wenn sie wissentlich zulassen, dass Inhalte auf ihren Plattformen veröffentlicht werden, die Gewalt fördern und provozieren“, sagte ein anderer ehemaliger demokratischer Präsidentschaftskandidat, der Senator Bernie Sanders.
Die Reaktion der sozialen Medien
Als Reaktion auf Trumps Initiative erklärte Twitter, Trumps Exekutivanordnung spiegele einen reaktionären und politisierten Ansatz gegenüber der Gesetzgebung wider und bedrohe die Freiheit der Meinungsäußerungen online und das gesamte Internet. Die Entscheidung des Präsidenten wurde auch auf Facebook kritisiert, wo man meint, dass die Aufhebung oder Begrenzung von Abschnitt 230 nach hinten losgehen und den Platz für Meinungen im Internet weiter einschränken würde.
„Die Entscheidung, Unternehmen für alles verantwortlich zu machen, was Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt sagen, wird die Plattformen zwingen, entweder kontroverse Aussagen zu ignorieren oder alles zu zensieren, was irgendwen beleidigen könnte“, hieß es in einer Erklärung von Facebook.
Nach Meinung des Chefs von Facebook, Mark Zuckerberg, hat kein privates Unternehmen das Recht, als „Schiedsrichter der Wahrheit“ zu agieren, und Social-Media-Plattformen, insbesondere solche wie Twitter und Facebook, sollten als etwas zwischen Zeitungen und Fernsehen behandelt werden.
YouTube-Chefin Susan Wojcicki sagte, wenn YouTube für jeden einzelnen Beitrag verantwortlich sei, der gepostet oder den Nutzern von dem Algorithmus vorgeschlagen wird, „müsste man alles überarbeiten.“
„Das bedeutet, dass die Menschen viel weniger Zugang zu Informationen hätten. Viel, viel weniger“, sagte Wojcicki und erinnerte daran, dass jede Minute etwa 500 Stunden Video auf die Website hochgeladen werden.
Aufgrund der Aussichten, die IT-Unternehmen erwarten können, wenn Section 230 aufgehoben wird, glaubt Kate Rouen, eine leitende Rechtsberaterin für die Gesetzgebung der American Civil Liberties Union, dass dies in erster Linie Trump selbst schaden wird, der versucht, für die Meinungsfreiheit zu kämpfen.
„Ironischerweise ist Donald Trump ein großer Nutznießer von Abschnitt 230“, sagte sie. „Wären die Plattformen nicht gesetzlich geschützt, wären sie nicht die rechtlichen Risiken eingegangen, mit denen Trumps Veröffentlichungen, die normalerweise Lügen, Verleumdungen und Drohungen enthalten, in Verbindung gebracht werden könnten.“
Der Krieg geht weiter
Trotz Trumps Executive Order moderiert Twitter weiterhin die Beiträge des Präsidenten. Das Unternehmen hat dessen Tweet über die Unruhen in Minneapolis als Zustimmung zu Gewalt gekennzeichnet. Das Staatsoberhaupt hatte geschrieben: „wenn das Plündern beginnt, beginnt das Schießen.“ In dem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass Trump tatsächlich den ehemaligen Polizeichef von Miami, Walter Headley, zitiert hat, der wegen seiner harte Unterdrückung der afroamerikanischen Proteste 1967 in Erinnerung geblieben ist.
Twitter-Moderatoren betrachteten den Tweet des Präsidenten als Verstoß, löschten ihn aber nicht, weil er „eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse sein kann“. Sie taten das gleiche mit einem Beitrag auf der Seite des Weißen Hauses, wo ein Zitat des amerikanischen Staatschefs veröffentlicht wurde. Gleichzeitig wurde die exakte Kopie von Trumps Tweet durch einen anderen Nutzer des sozialen Netzwerks trotzdem blockiert.
Die US-Regierung verurteilte den Schritt und sagte, dass Twitter sich durch die Bearbeitung von Inhalten wie ein Verleger verhalte, nicht wie eine Plattform für Meinungsäußerungen.
Trumps Post über „Plündern und Schießen“ erschien aber auch auf Facebook. Dieses soziale Netzwerk hat ihn trotz öffentlichen Drucks nicht entfernt oder markiert. Es gab viele Anschuldigungen gegen Mark Zuckerberg, auch von seinen eigenen Untergebenen, einige von ihnen beschlossen sogar, das Unternehmen zu verlassen. Der Facebook-Chef selbst verurteilte den Post des Präsidenten, meint aber, dass seine Löschung die Meinungsfreiheit verletzen würde.
„Ich bin mit dem Ton des Präsidenten absolut nicht einverstanden, aber ich glaube, dass die Leute seine eigenen Worte bewerten sollten, denn am Ende müssen die Machthaber für ihre Aussagen die Verantwortung tragen“, schrieb Zuckerberg.
Die jüngste Episode von Trumps Konfrontation mit Twitter war die Entfernung eines Videos des Präsidenten, das dem Tod von George Floyd gewidmet war. In dem etwa vier minütigen Video warnt der US-Präsident vor der „Bedrohung durch Gewalt und Anarchie“ durch „radikale linke Gruppen“. Das Video vom 3. Juni wurde, wie Twitter betonte, „als Reaktion auf die Nachricht des Urheberrechtsinhabers“ gelöscht. Andrew Clark, ein Sprecher des Präsidentenstabs, nannte die Entscheidung „eine Eskalation der Doppelmoral“.
Ende der Übersetzung
Details und den Link zu dem im letzten Absatz erwähnten Video (inklusive deutscher Übersetzung) finden Sie hier.
Eine Antwort
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Interessant in diesem Zusammenhang ist die deutsche Situation in der der Hamburger RA Joachim Nikolaus Steinhöfel , der in Deutschland nicht mit dem Zensurverbot argumentiert, sondern mit dem Wettbewerbsrecht – lt. Webseite eines seiner Tätigkeitsgebiete; Ältere erinnern sic noch an seine verlorene Klage gegen die Deutschlandradio-URL d-radio.de, weil dort für das Kürzel „d-xxx“ wohl frühere (Marken?-)Rechte bestanden – argumentiert. Wenn Facebook Auffassungen in der Verbreitung beschränkt, dann behindern sie den „Wettbewerb“ der Ansichten, was im Fall von Tichys Einblck wohl eindeutig ist.