Proteste gegen soziale Probleme: Wie russische Medien über die Gelbwesten berichten

Das russische Fernsehen hat in der Sendung „Nachrichten der Woche“ wieder über die aktuellen Proteste der Gelbwesten berichtet. Während die westliche Medien die Gelbwesten als Randalierer darstellen und kaum über die Gründe der Proteste berichten, liegt bei den russischen Medien der Fokus auf den Beweggründen der Gelbwesten, auf dem ständig wachsenden Druck und der Gewalt der Polizei und auch auf dem immer mehr eingeschränkten Demonstrationsrecht. Da diese Sicht stark von der Berichterstattung in Deutschland abweicht, habe ich den Bericht des russischen Fernsehens übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Frankreich erlebte eine weitere, die 19., Protestaktion der Gelbwesten. Nach den Pogromen auf dem Champs Elysees verbot der Präfekt der Pariser Polizei die Demonstrationen in den zentralen Bezirken der Hauptstadt und als Notmaßnahme brachte Präsident Macron Armeeeinheiten nach Paris. Die Proteste konnten durch diese Maßnahmen jedoch nicht gestoppt werden. Die arme Mittelschicht in Frankreich scheint erkannt zu haben, dass sie in der letzten Phase der Globalisierung einfach nur betrogen wurde. Und die Reichen wurden auf ihre Kosten reicher.

Die Polizisten lösen im Gleichschritt eine ungenehmigte Demonstration in Nizza auf, versehentlich schlagen sie dabei eine ältere Frau nieder. Sie fällt auf den Asphalt, schlägt sich den Kopf ein und fällt ins Koma.

Auch in Montpellier gibt es Zusammenstöße. Es gibt mehr Einsatzkräfte und mehr Gewalt. Das sind die Maßnahmen der Regierung unter dem Vorwand, dass sich diese Maßnahmen gegen diejenigen richten sollten, die randalieren und gegen deren Komplizen.

„Prohibitiv, skandalös! Sie sollten sich schämen, Herr Innenminister, wir wollen seinen Rücktritt, er hat Blut an den Händen“ sagen die Leute. „Er lebt in seiner kleinbürgerlichen Welt, betrachtet sich als König. Er scheißt auf die Menschen. Emmanuel Macron spricht nur über Europa, wenn er dort ein Plätzchen haben möchte, dann soll er doch dahin gehen!“

Sie protestieren den 19. Samstag in Folge, es sind weniger Randalierer aber mehr Teilnehmer. Mehr als 40 000 in ganz Frankreich, vor einer Woche waren es 32.000. Der alte Präfekt von Paris wurde wegen Unentschlossenheit entlassen, der neue brachte 6.000 Polizisten auf, den Champs Elysees hat er persönlich inspiziert, zusammen mit dem Premierminister beobachtete er die Lage im Krisenzentrum.

„Ein neuer Präfekt, das ist trotzdem alles aus den Kreisen der Sicherheitsdienste, das ändert nichts, wir brauchen eine politische Antwort und die gibt es nicht. Sie setzen auf Sicherheit, aber das löst nichts. Man sagt uns, dass die Russen schuld sind, dann ist Trump schuld, dann die extreme Linke, dann die extreme Rechte, es ist immer die Schuld von irgendjemandem, aber nie die Schuld der Regierung“ sagte ein Polizist.

Die Polizei beginnt zu murren, obwohl sie zwei Drohnen, chemische Markierungsmittel und neue Waffen bekommen hat, ihre Befugnisse erweitert und zusätzliche Kräfte freigesetzt wurden, denn wichtige Gebäude werden nun während der Proteste von der Armee bewacht. Und die Geldstrafen für die Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen wurden verdreifacht, ein Vermummungsverbot bei Demonstrationen eingeführt, für Verstöße droht Gefängnis.

Doch es gibt bereits Tausende verwundete Polizisten, mehrere Tausend verletzte Demonstranten, fünf haben ihre Hand verloren, 22 Menschen verloren ein Auge. Seit dem Krieg in Algerien habe es kein solches Ausmaß an Gewalt gegeben, sagen Journalisten, die auch von der Polizei beschossen werden.

„Ich kenne viele Jungs, auf die mit Gummigeschossen geschossen wurde, obwohl sie ein Presse-Armband hatten. Einer wurde durch Schrapnelle einer Gas-Granate verwundet. Es ist für mich überraschend, wir sind doch nicht hier, um die Ordnungskräfte zu provozieren, sondern um über die Demonstrationen zu berichten“ sagte einer der Journalisten.

Die Regierung verhängt immer neue Verbote, jetzt herrschen in den Zentren von zwei Dutzend Städten Demonstrationsverbote. Der zentrale Platz in Bordeaux, der Capitol-Platz in Toulouse. Der Champs Elysees wurde für die Gelbwesten geschlossen. Die ganze Woche werden dort die Schäden nach dem Pogrom beseitigt.

Das Restaurant Le Fuquette´s war in den letzten 120 Jahren ein Symbol für Reichtum und Luxus, es übstand sogar den „Roten Mai“, den Studentenaufstand von 1968. Damals wurde es nicht angerührt, aber diesmal war es anders, die Fenster sind zerschlagen, die Einrichtung wurde angezündet, jetzt werden die verbrannten Möbel abtransportiert. Jetzt wird dieses Restaurant ein neues Symbol dafür werden, dass sich die Zeiten geändert haben und auch die Franzosen sind inzwischen andere geworden.

Der Raum riecht nach Rauch, im Inneren reißen Arbeiter die Wände ein, transportieren die Überreste von verbrannten Tischen und Stühlen ab, alles muss neu gemacht werden. Baufahrzeuge und Lastwagen kommen einer nach dem anderen.

Die Situation wird ununterbrochen im französischen Fernsehen diskutiert, Ministerpräsident Eduard Philippe rechtfertigt in einem Interview die neuen Maßnahmen.

Früher war er Installateur, jetzt ist er fast ein Volksheld der „Gelbwesten“: Gerome Rodriguez. Für ihn ist die rote Linie schon überschritten. Er verlor seinen Job, ging zu friedlichen Protesten, dabei verlor er durch Beschuss durch die Polizei ein Auge.

„In einem Land wie Frankreich schießen wir nicht auf die eigenen Leute. Hier herrscht Demokratie, es ist eine Republik, wir haben Rechte und Pflichten und die Meinungsfreiheit. Aber wenn wir unsere Meinung ausdrücken wollen, was macht dann Präsident Macron? Schießt auf Menschen. Seit 40 Jahren tun diejenigen, die uns regieren, nichts für uns, sondern machen alles nur noch schlimmer“ ist Gerome überzeugt.

Das ist die Meinung eines typischen Vertreter des Mittelstandes in der französischen Provinz. Sie sind das Rückgrat der Bewegung, die die Agenda der extremen Rechten und der extremen Linken zusammengeführt und die Menschen im Streben nach sozialer Gerechtigkeit vereint hat. Ihre Aktionen beschränken sich nicht auf die Samstage.

„Bei ihnen im Elysee-Palast ist alles aus Gold und Silber, bei uns ist alles aus Holz. Es ist wie in dem Märchen über die drei Ferkel, nur sind wir keine Schweine, sondern französische Bürger, die Respekt und Aufmerksamkeit verdienen, die Demonstrationen gegen all diese soziale Ungerechtigkeit organisieren wollen, die das Land überflutet hat“ sagte einer der Aktivisten

Sie kommen mit ihren Familien aus verschiedenen Teilen des Landes, decken gemeinsam den Tisch und auf offenen Kohlen werden appetitliche Schaschliks gebraten. Ihr Hauptquartier versuchten sie so bequem wie möglich einzurichten und sie bereiteten sich auf eine lange Auseinandersetzung vor. Für die Kinder haben sie einen Tisch aufgestellt, mittwochs gibt es einen Malkurs für sie. Die Kinder wählen das Thema selbst, aber immer öfter malen sie verwundete Menschen in gelben Westen. Die Polizei wird in dunklen Farben dargestellt.

Es gibt mehrere Räume, sogar einen Besprechungsraum haben sie eingerichtet, obwohl sie wissen, dass es sinnlos ist zu hoffen, dass eines Tages Regierungsvertreter hierher kommen werden, um mit ihnen zu sprechen. „Wir wollen nicht nur den Menschen, sondern auch der Regierung und den Ordnungskräften zeigen, dass wir diesmal bis zum bitteren Ende gehen“ sagen die Aktivisten.

Dieses Ende ist mindestens der Rücktritt von Macron, dessen Beliebtheit wieder unter 30 Prozent gefallen ist. Und wenn er nicht geht, versprechen die Gelbwesten, bis zu den Neuwahlen zu protestieren und das sind mindestens noch 146 Samstage.

Ende der Übersetzung

Wenn Sie sich dafür interessieren, wie Russland auf die Fragen der internationalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und ungekürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse.

https://anti-spiegel.com/2019/was-sagt-putin-selbst-zu-den-fragen-der-interbationalen-politk-hier-kommt-er-zu-wort/
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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